Schriftträume für eine winzige Ewigkeit
2004 Wünsdorf / Brandenburg
Rede zur Ausstellungseröffnung von Cordula Wünsche:
Es gibt sie noch, die es lieben, Blätter mit Worten zu benetzen, ganz ohne Hilfe einer Maschine und so, dass es schön aussieht.
Kalligraphie – die Kunst des schönen Schreibens hat Marí Emily Bohley ebenso wie das Handwerk des Buchbindens in London gelernt, weil es in England dafür noch eine lebendigere Tradition gibt.
Nach dem Studium der Philosophie und Kunstgeschichte hatte sie dort eigentlich nur einen Sprachkurs machen wollen, doch dann stieß sie auf das Roehampton Institut, das einen Studiengang in beiden Fächern anbot.
Das Buchbinden hatte sie schon lange interessiert, bereits als Kind war sie damit beschäftigt, aus alten Geldscheinen und marmoriertem Papier Bücher zu basteln.
“Kalligraphie fand ich das erste halbe Jahr ziemlich langweilig. Immer nur kopieren und jedes I-Pünktchen musste übereinstimmen.“, sagt Marí Bohley, die unzählige Schriften aus Antike, Mittelalter und Gegenwart lernen und üben musste.
Doch ein neuer Kehrer weckte die Begeisterung für die jahrtausende alte Kunst. Mit der östlichen Bewegungsmeditation Thai Chi lehrte er sie, Körperbewegungen in Farbe umzusetzen und Empfindungen und Stimmungen in in die Kalligraphie einfließen zu lassen.
Sie lernte, dass Kalligraphie mehr ist als verkrampfte Schönschreiberei, Leichtigkeit nur disziplinierte Arbeit zu erlangen ist und Traurigkeit verfliegt, wenn man sich ihr stellt.
„Für mich hat Schönschreiberei auch etwas mit Meditation zu tun, da sie hohe Konzentration erfordert und man das Gefühl für die Buchstaben entwickeln muss. Will ich zum Beispiel ein runde ‚A‘ schreiben, muss ich an etwas Rundes denken, sonst wird es ein Ei.“
„Versuch einer Annäherung“ nannte Marí Emily Bohley ihre Diplomarbeit. Ein Kunst-Buch, das die Geschichte einer bedingungslosen Liebe erzählt, deren Kind sie ist.
600 Liebesbriefe hatte ihr Vater, dessen Lebenszeit nur 18 Jahre währte, an ihre Mutter geschrieben. Liebesbriefe der ganz besonderen romantischen Art. Sie selbst war damals erst drei Monate alt.
Diese Briefe, Familienfotos und Zeichnungen hat sie zu einem Buch zusammengefügt, das man getrost neben Weltliteratur stellen kann.
Aus einem dieser Briefe stammt auch der Name ihrer Dresdner Ladengalerie „blue child“.
Dort kann man nicht nur Arbeiten von Marí Emily Bohley anschauen und kaufen, dort gibt sie auch Kurse in Kalligraphie und Buchbindekunst.
Die künstlerische Verpackung von Büchern hat es ihr besonders angetan. Uns so gibt es in ihrem Atelier neben klassischen Ledereinbänden auch ein federfeines „fliegendes Buch“ und verborgen zwischen zwei weißen Porzellanhügeln das „Buch des Schweigens“.
Buchobjekte nennt sie jene poetischen Wesen, die sie in den Vitrinen finden und die solche Namen tragen wie „Berg der Liebe“, „Fliegende Träume“, „Welch schöne Kleider“ oder „Suche nach der Sehnsucht“ – kalligraphisch gestaltete Gedichte mit zauberhaften Objekten vereint, das „Schriftwesen“.
In manchen von Marí Emily Bohleys Kunstwerken ist die Schrift nur mehr zu ahnen. Worte tauchen eine in farbige Flächen oder fegen darüber hinweg. Buchstaben tanzen, explodieren und münden in einem schwungvollen Strich. Linien segeln auf dem Papier. Es sieht leicht aus. Aber dahinter stecken nicht nur Energie und Inspiration, sondern auch Wissen und Erfahrung.
Die Kunst des schönen Schreibens ist so alt wie die Schrift selber. Marí Emily Bohley findet immer wieder neue Mittel und Wege sie zu gestalten und so faszinierende „Schriftträume für eine winzige Ewigkeit“ entstehen zu lassen.
Cordula Wünsche, August 2008