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Traurigkeiten vertrauen

2010 Bad Schandau

Städtische Galerie

  Einladungskarte

Rede von Uwe Käästner zur Ausstellung „Schrift- und Buchkunst“ von Marí Emily Bohley in der Stadtgalerie Bad Schandau:

Marí Emily Bohley zeigt uns hier „Schriftbilder“ aus einem halben Dutzend Lebens- und Schaffensjahren.
Ihrem Selbstverständnis nach Kalligrafin, ist sie jedoch der Tradition des „Schön-Schreibens“ von – zumal abgeschriebenen – Schriftzügen nur anlehnend verpflichtet. Die „perfekte ästhetische Ausgewogenheit“ eines exquisit geschriebenen Wortes, Satzes oder Textes ist ihre Sache nie gewesen. Vielmehr befreit sie die Schrift von der Bürde des Wortsinns und ihrer Funktion als dessen Vehikel. Ja, sie führt die Schrift wieder dahin zurück, wo sie einst hergekommen ist: in das Zauberland der grafischen Zeichen und der sinnbefreiten Sinnlichkeit.
Wohl steht die Künstlerin mit einem Bein fest in der alphabetischen Tradition, wenn sie sich derer Formensprache bedient. Doch mit dem anderen Bein sucht sie Tritt im Reich der Abstraktion. Mit Ihrer Handschrift benennt sie uns nichts; sie erzählt nicht mit Worten, sondern mit Linien, Farben und Formen.
Waagerechte, Senkrechte und Schräge, die Grundelemente unserer Urschrift aus Keilen, kombiniert sie frei und mutig mit spannungsvollen Schwüngen, Schnörkeln oder Kratzern zu neuen Gebilden, die zuweilen wie Hieroglyphen daherkommen. Diese wiederum schichtet sie übereinander und verbindet sie mit allen möglichen Materialien, bis sie sich zu einem Bild verdichten – einem Bild, das ihrem Gefühl im Moment des Schaffens nahe kommt und dann erst in die Welt entlassen wird.
Die zweidimensionale Bildfläche reicht ihr dabei schon lange nicht. Ihre Bilder, die Schicht auf Schicht entstehen, wachsen in die dritte Dimension. Sie bilden Räume, sie haben Profil im doppelten Sinne. (Ihre Bilder aus verschiedenen Winkeln zu betrachten sei hier ausdrücklich empfohlen.)
Wenn Marí Bohley ihre Bilder fabriziert, rückt sie oft gleich mit einer ganzen Handwerkerkolonne an. Hier ist ein Maurer am Werk, der die Bildwand mit Kalk bepinselt, dann mit trüben Wassern übertüncht und darüber einzelne Stellen mit dickem Anstrich versieht. Manchmal ist ein Schneider gefragt, der Stoffstücke nach einem geheimen Plan aufträgt. Dort wird ein Schmied gebraucht, der mal ein Quadrat, mal einen ganzen Quadrateteppich mit silberglänzendem Metall beschlägt. Oder er zieht die Fallspur zweier Wassertropfen mit edlem Gold nach oder er folgt golden der Flugbahn einer Biene auf ihrem Bestäubungsflug. Wieder woanders haucht er einem stillen Gewässer Goldglanz auf, so dass es beglückt in der Abendsonne schimmert. Auf einem nächsten Werk wieder trägt er mit Handschweiß und Pinzette Plattgold auf eine Fläche auf, die ein Gerber vorher gegerbt hat und ein Chemiker oxydieren ließ. Dann ist da noch eine Gärtnerin, die Rasenstücke hinpflanzt und daraus goldschimmernde Rispen elegant und schwungvoll zum Licht hin wachsen lässt. Anderswo wieder ist ein Graveur zu Gange, der träge Bögen und scharfe Risse in goldenen Grund zu graben versteht. Und wieder woanders hat ein Goldschmied lauter Schnörkelglieder gefühlvoll zu einem edlen Geschmeide verbunden.
Obwohl diese Bildwerke auf dem ersten Blick kindlich verspielt, frei von Lasten und Zwängen erscheinen, bleibt dem aufmerksamen Beobachter doch nicht verborgen, dass sie in sich Spannungen, Gegensätze und Konflikte tragen – auch wenn diese zumeist in einer übergreifenden Harmonie aufgehen.
Was die Künstlerin zum Schaffen treibt, so ahnen wir, ist ihr sensibles Selbst, sind ihre vielschichtigen, auch die „gestrandeten“ Emotionen.
Davon erzählt uns auch das einzige Buch, das uns die ebenso versierte Buchkünstlerin in diese Ausstellung gegeben hat. Es kündet vom Gefühl der Traurigkeit, die mit Rilke als „Herzhinzugekommenes“ durchaus gut und nützlich sein kann, nämlich dann, wenn wir es vermögen, sie aus uns heraus schaffend zu bewältigen.
Insofern können wir Marí Emily Bohley’s Schriftbilder immer auch als Schicksalsbilder betrachten, als Wegzeichen ihrer im Schaffensprozess eroberten Veränderung. Sie zeugen damit auch von ihrer inneren Kraft, die es vermag, schwere Emotionen in Schönheit umzumünzen. Und ist dies nicht ein wahrlich schönes Zahlungsmittel?